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2013-10-05 07:41 von Günter (Kommentare: 0)

Ski heil

Es gibt viele verrückte Dinge, die man im Leben machen kann, aber von allem Blödsinn ist Skifahren sicher das blödeste: Die Vorbereitungen erinnern bereits an die logistische Herausforderung, mit der eine Großmacht den Dritten Weltkrieg vorbereiten würde; der kleinste Fehler kann zum Fiasko führen (es sei denn, man kauft z.B. die sündhaft teure Skibrille, die man zu Hause vergessen hat, vor Ort nochmal – jetzt wiederum 15 Euro teurer)! Nach tagelangen Vorbereitungen reiht man sich zunächst ein in den Flüchtlingstreck, der mit 30 km/h nach Süden zieht. In den Alpen angekommen, bezieht man die gebuchte Ferienwohnung mit dem Resopaltischchen und dem billigen Kunstdruck an der Wand. Nach schlafloser Nacht und Frühstück mit Käseecke und Marmeladendöschen dann die Vorbereitungen zur ersten Mondlandung: Ankleiden in mehreren Schichten, Einpacken, Eincremen, Ausrüstungsgegenstände checken… nach 30 Minuten kann’s losgehen! 20 Minuten Anstehen an der Kasse (mit der Liftkarte finanziert man den Eingeborenen fünf Kindergartenplätze für die nächsten Jahre)… 35 Minuten Anstehen bis zum Einstieg in den Lift… 20 Minuten Liften bis zum höchsten Punkt… 10 Minuten Abfahrt… dann wieder langes Anstehen, kurzes Fahren usw. – Zehen und Fingerkuppen sind längst abgestorben, aber damit ist Reinhold Messner noch auf den K 2 gestiegen, also halten wir auch durch!

Im Laufe des Tages bekommt man dann einen Eindruck von der Leidensfähigkeit der Zivildienstleistenden, die in europäischen Behindertenwerkstätten arbeiten (und die ihre Schützlinge offenbar alle gleichzeitig für ein paar Tage in die Berge entsorgt haben): Während die einen Freigänger für eine solide Grundbeschallung der Zentralalpen mit discotauglichen Stimmungsliedern sorgen, kauern die anderen auf umgebauten Surfbrettern und versperren die Liftausstiege und alle unübersichtlichen Stellen auf der Piste. Der Rest fährt mit 2,8 Promille dem Après-Ski entgegen.

Das Mittagessen nimmt man gemeinsam mit 130 Personen in einer 18-Quadratmeter-Imbissbude ein, die folkloristisch zum Kuhstall umgestaltet wurde. Nach 20 Minuten Warten kriegt man endlich eine Bockwurst für 8,50 Euro. Dann auf’s Klo: Mit tonnenschweren Klötzen am Bein stolpert man in den Nassbereich… endloses Fingern zwischen unzähligen Tschibo-Fleece-Klamotten… kurze Erleichterung… Einpacken… und nach einer halben Stunde Wiederholung, weil der Glühwein (6,80 Euro) entsorgt werden muss. – Wenn die Finger am Nachmittag endgültig abgestorben sind, schlittert man die inzwischen vereiste Talabfahrt nach unten, stolpert mit wunden Füßen zum Auto und fährt zur Wohnung mit dem Resopaltischchen. Ausrüstung ausladen und verteilen… Ausziehen… Duschen… Anziehen… schließlich Abendessen in einem Restaurant, das zum Kuhstall ausgebaut wurde (wie originell!) und deswegen dreimal so teuer ist, wie das Gourmetrestaurant zu Hause.

Um zehn Uhr abends fällt man todmüde in’s Bett – in der bangen Gewissheit, dass auch der nächste Tag keine Befreiung aus dem Ski-Gulag bringen wird. Die kommt erst nach acht Tagen, wenn man sich wieder in die zurückflutende Blechlawine einreihen darf. Nach weiteren acht Tagen sind dann die letzten Sachen gewaschen und wieder ordentlich für den nächsten Skiurlaub verstaut – bis auf die sündhaft teure Skibrille, die man beim Mittagessen auf der Bergstation liegenlassen hat.

(Auszug aus dem Jahresrückblich 2006)

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» Jahresrückblich 2006 (PDF)

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